SÄCHSISCHE ZEITUNG, DIENSTAG, 7. FEBRUAR 2006
Gravuren des Krieges
Von Katja Solbrig
Erinnern. Dem bloßen Symbol des 13. Februar setzt Matthias Neutzner Inhalte entgegen.
In diesem Jahr haben sich die Rechtsextremen bereits für den 11. Februar angesagt. Das ist neu. Sonst war es ihnen wichtig, die Symbolkraft des 13. Februar genau an diesem Tag auch für ihre Ziele zu nutzen: Sich selbst zu konstituieren, den Medienauflauf zu nutzen, bewusst zu provozieren.
Wie darauf reagieren? „Ich gebe unumwunden zu, dass ich auch sehr unsicher bin“, sagt Matthias Neutzner, Vorsitzender der Interessengemeinschaft 13. Februar und Mitglied der Initiative Kunstplan. „Soll ich mich von ein paar Blöden zwingen lassen, wann ich mich wie erinnere?“ Denn seit 2001 exisitieren Mahndepots, Orte, die in ganz unterschiedlicher Weise mit dem 13. Februar 1945 zu tun haben, Gravuren des Krieges. 2001 wurden 56 solcher Depots angebracht, damals war die Zerstörung Dresdens 56 Jahre her. Mit dabei zum Beispiel der Hauptbahnhof, eines der Hauptangriffsziele des Bombardements. Mit dabei auch ein Mahndepot am Güterbahnhof Dresden-Neustadt, von dem im Januar 1942 Transporte ins Getto Riga, am 3. März 1943 nach Auschwitz losfuhren.
In jedem Jahr am 13. Februar brachte Kunstplan ein neues Mahndepot an, setzte die Gravuren des Krieges fort. Im vergangenen Jahr, zum 60. Jahrestag des Angriffes, setzten sie kein neues Mahnmal. „Das war auch eine Art Freiheit, damit umzugehen“, erinnert sich Neutzner. Nun also: Diese Art, sich zu erinnern, auf einen anderen Tag verlegen, weil die Rechten eher kommen? „Ich habe die Überlebenden des 13. Februars gefragt“, sagt Neutzner, „und sie sprachen sich dafür aus, sie machen die Mahndepots, die an andere Schicksale erinnern, zu ihrer Sache.“ Matthias Neutzner hat es sich zu seiner Aufgabe gemacht, dieses Symbol des 13. Februars mit einem Inhalt zu besetzen. Eben damit dieses Symbol nicht umgedeutet, nicht missbraucht werden kann für rechtes Gedankengut. Auch wenn das Medieninteresse sich wieder wohl eher auf die Demonstrationsroute der Rechten konzentrieren wird.
Was soll man dem entgegensetzen? Gegendemonstrationen? Für Matthias Neutzner keine Lösung: „Auf Dresden schaut doch ganz Deutschland, ganz Europa doch jedes Jahr wie auf eine Versuchsanordnung im Laboratorium. Je nachdem, nach welcher Seite das Pendel ausschlägt, so gehen wir mit unserer Geschichte um, sagt man dann. Wenn Dresdner Bürger die Rechtsextremen an ihrer Demonstration hindern, dann wird das jedes Jahr zu einer ritualisierten Gegenüberstellung. Aber das Mobilisierungspotenzial einer Splittergruppe ist immer größer als das der Allgemeinheit.“ Es bräuchte also einen sehr langen Atem der Allgemeinheit. Neutzners Anliegen ist deshalb ein anderes: „Wenn ich heute eine Enzyklopädie in Australien aufschlage, dann steht da unter dem Stichwort Dresden: wurde im zweiten Weltkrieg zerstört. Ich will, dass künftig Dresden unbedingt auch als Stadt des Friedens bezeichnet wird“. In Australien und überall auf der Welt.
„Mit den Mahndepots wird gearbeitet, Schulklassen laufen sie ab, Igeltours bietet Führungen dazu an“, sagt Neutzner. „Wenn wir ein neues Mahndepot anbringen, dann ist das überhaupt nicht weihevoll, ohne Musik und ohne Reden, aber in jedem Jahr schauen mehr Leute dabei zu.“ So, hofft Neutzner, wird es auch am kommenden Sonnabend sein, wenn das 60. Mahndepot vor der Herz-Jesu-Kirche angebracht wird.